Für mich war diese Nacht die bisher schrecklichste: Gleich dreimal schrecke ich nach Albträumen hoch und schaffe es danach nicht mehr, wirklich zur Ruhe zu kommen. Die Berggeister gönnen mir heute Nacht keinen erholsamen Schlaf. Aber es hilft nichts, um vier Uhr dreißig ist für uns heute die Nacht vorbei. Wir wollen zum Sonnenaufgang auf den 3210m hohen Poonhill steigen.
Um 5.00 Uhr brechen wir pünktlich und dick angezogen gemeinsam mit dutzenden anderen Trekkern auf.
Die Luft ist klar und kühl, der Sternenhimmel über uns und die Mondsichel begleiten uns. Nach kurzer Zeit wird mir klar: ich bin viel zu dick angezogen und es dauert nicht lange, bis ich die lange Unterhose ausziehe. Regenjacke, Fleecejacke, Fleecepulli und schließlich auch das Stirnband wandern in den Rucksack...
Die Luft ist extrem dünn, das Atmen fällt mir wieder deutlich schwerer, jeder Luftzug wird zur Anstrengung und ich gehe sehr langsam die vielen Stufen und steinigen Abschnitte des Weges hoch. Insgesamt überwinden wir in der Frühe 333 Höhenmeter. Der Sonnenaufgang ist wenig spektakulär, aber die Aussicht entlohnt die Strapazen des Aufsiegs: die Gipfel des Anapurnamassivs, der Machupuchare, der wegen seines Aussehens auch „Fischschwanz“ genannt wir, und die umliegenden Berge zeigen sich von Ihrer ganzen Pracht. Einzig der Dalaughiri versteckt sich verschämt und stur den ganzen Morgen hinter einem Wolkenschleier ...
Leider sind zu viele Menschen dem Ruf des Sonnenaufgangs gefolgt: Es tummeln sich gefühlt 200 Leute hier oben. ..
Nach einiger Zeit und vielen Fotos verlassen wir den Gipfel und erreichen wieder Ghorepani. Das Frühstück haben wir uns heute redlich verdient. Wir legen uns danach doch tatsächlich noch eine halbe Stunde schlafen und verpassen so den verabredeten Zeitpunkt zum Abstieg ins Tal... die Freunde warten jedoch das akademische Viertel geduldig...
1400 m Abstieg liegen vor uns und wir erahnen die Herausforderung beim Blick in die tief und weit vor uns liegenden Schluchten.
Es geht mal über Stufen, mal über steinigen Untergrund durch die wunderbaren, uns schon vertraut vorkommenden Rhododendrenwälder mit ihren Girlanden aus Moosen und Farnen. Faszinierend!
Plötzlich kommt uns eine Herde weißer Bergschafe entgegen, die von ihrem Hirten mit schnalzenden Lauten aus einem hölzernen Blasinstrument bergauf getrieben werden.
Immer wieder tauchen kleine Ansiedlungen auf, eigentlich Bauern, die in dieser Höhe von der Landwirtschaft vor dem Auftauchen der vielen Wanderer gut leben konnten. Jetzt finden sich oft kleine Stände vor den Häusern an denen neben Getränken und Lebensmitteln auch Schmuck, Mützen und Schals angeboten werden.
Gelegentlich sieht man Frauen, die an einer Webmaschine oder einer Nähmaschine arbeiten. Alle diese Tätigkeiten finden übrigens auf dem Boden sitzend statt.
Einige Geschäftstüchtige haben die Zeichen erkannt, eine Terrasse erbaut und bieten den Vorbeiziehenden warme Malzeiten an.
Wir führen wieder angeregte Gespräche, die alsbald von faszinierenden Blicken in tosende Wasserfälle oder von begeisternden Ausblicken unterbrochen werden.
Einmal kommt uns eine kleine Gruppe Ponys entgegen, wie das in den letzten Tagen immer mal wieder der Fall war. Die armen Tiere sind schwer beladen und tragen links und rechts entweder Wasserkanister oder Kisten mit Nachschub für die Restaurants in die Berge. Sie werden von den Rufen eines Nepali vorwärtsgetrieben.
Ich begehe einen um ein Haar unverzeihlichen Fehler: Statt mich - wie unbedingt notwendig - bergseitig hinzustellen, postiere ich mich talseitig des Weges um ein paar Fotos zu schießen. Dann passiert es: Ein Pony läuft etwas mehr talseitig und eine der Kisten berührt mich und gibt mir einen sanften aber entschiedenen Impuls, der mich das Gleichgewicht verlieren lässt. Zum Glück kann ich mich taumelnd gerade noch an einem Baum, den ich reflexartig zu fassen bekomme festhalten. Der Blick in die Schlucht verrät mir die Dimension des Unglücks, dem ich so eben knapp entronnen bin. Dankbarkeit stellt sich ein!
Kleine Pausen unterbrechen den unendlich scheinenden Abstieg. Dabei beobachten wir fasziniert, wie unsere Beinmuskulatur von dieser ungewohnten Anstrengung zittert. Unsere Wanderstöcke aus modernem Kevlarmaterial geben uns Sicherheit und Stabilität. Ohne sie wären wir um ein Vielfaches angestrengter.
Gegen 13.00 Uhr erreichen wir unseren Rastplatz, eine Unterkunft, die auch Mahlzeiten anbietet. Nima hat uns zielsicher an den völlig überfüllten Gasthäusern vorbeigelotst. Wir sind die einzigen Gäste und haben eine große Wiese, die wir zum Sonnenbaden und Relaxen nutzen, ganz für uns alleine.
Nach dem Mittagessen verlassen uns unserer Freunde. Sie setzen deren Rest der Reise nach Pokhara mit dem Jeep fort, den wir auf der gegenüberliegenden Talseite noch eine Weile langsam ins Tal rollen sehen. Wir verabreden uns für den Abend des folgenden Tages zum Abschiedsessen in Pohkara.
Vor uns liegen noch knapp zwei Stunden Fußmarsch. Wir überqueren zwei Hängebrücken und kommen an wunderschönen Badegumpen vorbei. Die Lufttemperatur ist merklich höher - wir sind auch schon einen großen Teil der 1400m abgestiegen, die heute zu bewältigen waren, die Vegetation wird entsprechend üppiger.
Nima zeigt uns die Kardamonpflanze und erklärt, wie Kardamon gewonnen wird.
Wir beobachten in ca. 100m Entfernung ein uns unbekanntes Tier: Es sieht aus der Distanz aus wie ein Fuchs, hat einen langen und buschigen schwarzen Schwanz. Der Körper ist beige, am Kopf erkennen wir weiße Streifen. Mir gelingen aufgrund des Geländes und der Distanz nur schlechte Fotos. Mit Internet und den Fotos finden wir am Abend heraus, dass es sich um einen Buntmarder gehandelt haben könnte.
Gegen 15.30 Uhr erreichen wir erschöpft unsere Lodge, duschen und ruhen uns aus...
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